22. Juni 2008
italo.log
Die wöchentliche Gedichtanthologie aus Italien.
Herausgegeben von Roberto Galaverni und Theresia Prammer. » Kontakt
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111: Andrea Ponso 110: Paolo Bertolani 109: Andrea Temporelli 108: Ermanno Krumm 107: Patrizia Cavalli (3) 106: Vivian Lamarque 105: Giancarlo Majorino 104: Toti Scialoja 103: Emilio Rentocchini 102: Eugenio Montale (4) 101: Maria Luisa Spaziani 100: Ignazio Buttita 099: Simone Cattaneo 098: Nanni Balestrini 097: Nino Pedretti 096: Marco Giovenale 095: Valentino Zeichen 094: Elio Pagliarani 093: Bartolo Cattafi 092: Luciano Cecchinel 091: Eugenio de Signoribus 090: Guido Ceronetti 089: Andrea Zanzotto (4) 088: Matteo Marchesini 087: Nicola Gardini 086: Attilio Bertolucci (2) 085: Flavio Santi 084: Gesualdo Bufalino 083: Gherardo Bortolotti 082: Giuliano Mesa 081: Albino Pierro 080: Beppe Salvia 079: Ottiero Ottieri 078: Eugenio Montale (3) 077: Antonio Riccardi 076: Amelia Rosselli (2) 075: Nelo Risi 074: David Maria Turoldo 073: Pier Paolo Pasolini (3) 072: Franco Scataglini 071: Patrizia Vicinelli 070: Milo de Angelis (2) 069: Umberto Piersanti 068: Giorgio Orelli 067: Elisa Biagini 066: Remo Pagnanelli (2) 065: Carlo Bettocchi 064: Vittorio Sereni (2) 063: Giorgio Bassani 062: Federico Italiano 061: Gabriele Frasca 060: Andrea Zanzotto (3) 059: Patrizia Cavalli (2) 058: Antonio Porta 057: Vincenzo Frungillo 056: Gianni D'Elia 055: Gregorio Scalise 054: Giorgio Caproni (2) 053: Stefano Dal Bianco 052: Biagio Marin 051: Elsa Morante 050: Franco Buffoni 049: Franco Loi (2) 048: Ferruccio Benzoni 047: Eugenio Montale (2) 046: Adriano Spatola 045: Dario Bellezza 044: Tonino Guerra 043: Luciano Erba 042: Jolanda Insana 041: Mario Luzi 040: Primo Levi 039: Valerio Magrelli (2) 038: Paolo Volponi 037: Alda Merini 036: Pier Paolo Pasolini (2) 035: Patrizia Valduga 034: Aldo Nove 033: Raffaello Baldini 032: Maurizio Cucchi 031: Piero Bigongiari 030: Andrea Zanzotto (2) 029: Gerhard Kofler 028: Remo Pagnanelli 027: Andrea Gibellini 026: Fabio Pusterla 025: Michele Sovente 024: Anna Maria Carpi 023: Gian Mario Villalta 022: Edoardo Sanguineti 021: Roberto Roversi 020: Patrizia Cavalli 019: Giuseppe Conte 018: Giovanni Giudici 017: Valerio Magrelli 016: Giorgio Caproni 015: Andrea Zanzotto 014: Attilio Bertolucci 013: Emilio Villa 012: Giampiero Neri 011: Giovanni Raboni 010: Amelia Rosselli 009: Sandro Penna 008: Antonella Anedda 007: Pier Paolo Pasolini 006: Fernando Bandini 005: Milo de Angelis 004: Vittorio Sereni 003: Franco Fortini 002: Franco Loi 001: Eugenio Montale
satt.org-Links:
Latin.Log Gedichte aus Lateinamerika (2005-2008). Herausgegeben von Timo Berger und Rike Bolte.
Lyrik.Log Die Gedichtanthologie (2003-2005). Herausgegeben von Ron Winkler.
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18: Giovanni Giudici
I.4
Das Unglaubliche nicht zu glauben War die einzige Sünde der einzige Irrtum – Als ich zu eurem Himmel eurer Blume Liebenswürdig vorstieß – und das Herz, denkt nur Wie es zusammenzuckt Als Kind in mütterlicher Höhle warmem Moos Sanfte Sonne eures Morgenrosarots Spitzbübisch landet es Ungläubig dann bei einer Liebe Aus Tälern und Türen, halbgeöffnet Bett süßer Seufzer, aufgelöstes Haar: Wirklich ich? – so hingefragt Und diesseits des Todes? – und ausgesprochen Den Namen
II. 4
Nie ist ein Stern bei seinem Sterben lauterer gewesen Leibhaftiger eine Morgana als sie schwand Wie der zwielichtige Strahl Eures Perlengesichts, reglos und hart Das mir zwar Mut macht Doch auch Angst einflößt Indes zu wenig liebt und reichlich straft – Euch also gilt der Preis für meine Plagen Wenn Minne anderswo nach mir verlangt Vertrau ich euch das Wappen und die Rüstung an Veilchen und Rolandsschwert Euch, die ihr mein Gut und auch mein Unglück wart Wenn ihr auch nicht mehr Minne seid Schließt auf das Schloß meiner Gefangenheit
V. 10
My name ist Magalhâes So sehr der Welten und der Meere Umfahrung unvollendet blieb So bleibt mein Micherklären von euch ungeglaubt – Haltlos meinem Tun davongetrieben Das meine Kräfte übersteigt Ach unbeugsames Weiter-Eilen Schwarzes Segel meines Ferne-Seins: Doch sei's um Euch auch wirklich treu zu dienen Daß tot mehr als lebendig ich mich euch verschrieb War doch mein Körper auch zugleich mein Brief Wort-Leib, seinem Wesen nach Verwandlung: An Eure Brust schmieg ich mich hin Ich, der ich Pergament – und Tinte bin.
(übertragen von Theresia Prammer)
I.4
Non creder l’incredibile Fu il solo sbaglio e peccato – Graziosamente al vostro cielo e fiore Quando pervenni – e il cuore, voi pensate A come trasalisce Bambino al caldo muschio e tana madre Tenue sole d’un vostro rosa aurora – Malandrino abutisce Non credulo a un amore Di schiuse valli e porte Letto di bei sospiri e sparse chiome: Io proprio? – domandando E al di qua della morte? – e pronunziando Il nome
II. 4
Mai fu stella al suo spegnersi più pura Né più carnale al suo sfarsi morgana Come l’ambiguo raggio Del volto vostro perla fissa e dura Che pur mi dà coraggio E che mi fa paura Però troppo castiga e meno ama – Dunque a voi lascio il premio dei miei stenti Se Minne altrove chiama A voi confido stemma ed armatura Viola e durlindana Voi che foste mio bene e mia sventura Se Minne pur non siete Aprite il chiuso dove mi chiudete
V. 10
My name is Magalhâes Quanto di mondo e mare Fu il periplo incompiuto Mio dirmi e da voi sempre non creduto – Traviato alla deriva del mio fare Ahimé che sopravvanza Assiduo properare Nera la vela della mia distanza: Ma sia che per ben esservi leale A voi mi scrissi quasi più che morto Essendo la mia lettera il mio corpo Parola per virtù transustanziale: In seno a voi riposto Io pergamena – e inchiostro
(Aus: Salutz, 1986)
© Giovanni Giovannetti/effigie
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Giovanni Giudici wurde 1924 in Le Grazie (La Spezia) geboren. Von 1933 bis 1956 lebte er in Rom, wo er klassische Philologie studierte. Seit 1948 war er hauptberuflich als Journalist tätig, von 1949-1956 arbeitete er in einem amerikanischen Kulturbüro, bis zum Jahr 1980 in der Werbe- und Presseabteilung der Olivetti in Ivrea (Turin). 1959 Übersiedelung nach Mailand, wo er noch bis 1980 für dasselbe Unternehmen tätig blieb. Redakteur der Zeitschriften „L’Espresso“, der Tageszeitungen „Corriere della Sera“ und „l’Unità“. Giovanni Giudici engagierte sich als Übersetzer vor allem aus dem Englischen und Russischen; bekannt geworden ist seine Version des Onegin von Puschkin. Daneben Übertragungen von Werken Ezra Pounds, Roberto Frosts, Sylvia Plaths u. a. Ein Großteil von Giudicis Übersetzungen wurde in zwei organischen Bänden mit dem Titel A una casa non sua (Milano, 1997) und Vaga lingua strana (Milano, 2003) zusammengefaßt. Wichtigste Werke: La vita in versi (Mailand, 1965), Autobiologia (Mailand, 1969), Il male dei creditori (Mailand, 1977), Il ristorante dei morti (Mailand, 1981), Salutz (Turin, 1986), Quanto spera di campare Giovanni (Mailand, 1993), Empie stelle (Mailand, 1982), Eresia della sera (Milano, 1999), Meridiano: I versi della vita (Milano, 2000) Neben vereinzelten Prosaarbeiten veröffentlichte Giudici drei Essaybände: La letteratura verso Hiroshima (Rom, 1976), La dama non cercata (Milano, 1985), Andare in cina a piedi (Rom, 1992) und Per forza e per amore (Milano, 1996). Giovanni Giudici lebt in Mailand.
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Giovanni Giudici über Salutz:
Am Abend des 7. März 1983 war ich in Padova zu Gast bei Gianfranco Folena. Nach dem Abendessen in der Trattoria und einem kurzen Spaziergang durch die kalten und nebligen Straßen, kamen wir wieder zurück in seine Wohnung und aus irgendeinem Grund, der sich nun meiner Erinnerung entzieht, brachte Folena das Gespräch schließlich auf den „epischen Brief“, den der Dichter Raimbaut de Vaqueiras im Jahr 1205 verfaßt hatte, als er sich mit Bonifaz von Montferrat (in dessen Dienst er einen Großteil seines Lebens gestanden hatte) in Thessaloníki aufhielt. Raimbaut war um das Jahr 1155 geboren und sollte im Jahr 1205 sterben. Der „epische Brief“ (der vielleicht nur in sehr weitem Sinn dem, hauptsächlich der Liebe verschrieben, Troubadourgenre zuzurechnen ist, das salutz heißt) ist mithin eine Art Bilanz, welche durch den verfrühten Tod des Dichters schließlich einen fast vortestamentarischen Sinn erlangen sollte: auch wenn Raimbaut sich hier auf eine höfliche, doch bestimmt vorgebrachte Bitte um Anerkennung für die dem Marquis geleisteten Dienste beschränkt. Folena trug die ersten Verse aus dem Gedächtnis vor, mit einer Stimme, die von einer zärtlichen Melancholie durchtränkt war. Am Morgen darauf nahm ich meine Reise nach Triest wieder auf, wo ich eine Rede zum 100. Geburtstag von Umberto Saba halten mußte. Doch die Idee, selbst ein salutz (oder mehr noch, im Akkusativ, ein salut) zu schreiben, war in meinem Kopf bereits gereift: ich hatte nur noch den geeigneten Moment abzuwarten [...]. („Nota“, in: Salutz, 1986, Übersetzung T. P.)
Alberto Bertoni über den Zyklus:
1986 erschienen, verwirklicht Salutz in der geschlossenen Struktur von 70 Gedichten mit je 14 (trotz der offensichtlichen Symmetrie zur Länge des Sonetts zu einer einzigen Strophe gebundenen) Versen, eingeteilt in sieben Kapitel mit je zehn Stücken, eine Art ambivalente Hommage an die provenzalische Liedtradition sowie jene der deutschen Minnelyrik. Protagonist ist die grausame und phantasmatische, wie schon im vorangegangenen Buch [Lume dei tuoi misteri, 1984] stark verdichtete und eine angemessene zwischenmenschliche Distanz negierende Beziehung zwischen einem Liebenden und einer Geliebten: unseren Zeitgenossen. In der zeremoniösen Anredeform der Minne wird nicht allein „die Dichtung selbst als Lebens-Sinn (bald finster strafender Stachel, bald trügerischer Honig, Mutter-Geliebte, Schoß der ursprünglichen und endgültigen Nacht“ [Di Girolamo]) faßbar, sondern auch als Grundlage [...] und zugleich als Schlüssel, das befremdet und befremdlich ist, geeignet, jeden Akt oder jeden Impuls der psychologischen oder existentiellen Hinterfragung aufzuheben, zugleich jedoch Grundbedingung von Dichtung sowie der produktiven Reflexe der sie ausmachenden Sprachen. Gerade in Salutz kommt andererseits die Belebung mit einem realistischen Element zum Tragen, mit mythisch-literarischem Substrat und einer gleich bleibenden Spannung der Rede – deren Konzentration und Stärke sich genau hier von der horizontalen und paradigmatischen Ebene des Verses nach und nach auf die vertikale und syntagmatische Ebene der Satzperioden verschiebt [...]. Dichtung des Begehrens heißt auch Dichtung der Leere und einer wiederherzustellenden Einheit: und es ist bemerkenswert, wie die Aggressivität, die Bitterkeit und die Ernüchterung, die in der hier dargestellten Ich-Erfahrung mitschwingen, auf der konkreten Ebene des Ausdrucks zu einer Erfindungs-Leichtigkeit, einer oft kristallinen Singbarkeit abgemildert werden, einer melodischen Textur, stets bereit, in ein polyphones und zugleich konstruktives Wortgeflecht einzumünden. [...] Erste Aufgabe des Schreibens wird so, die verstreuten Schimmer von Identität und Leben – dem visionären Wissen dessen entspringend, der einem zwischen Traum und Wachtraum, verschütteter und unfreiwilliger Erinnerung (weit eher sprachlich-wahrnehmungsbezogen denn existentiell) aufgehobenen Zustand Ausdruck verleiht – wieder zu einer dynamischen Einheit zusammenzufügen, wie es für den vermehrt zu Latinismen neigenden späten Giudici so typisch ist: „Pronta a fissarvi in segni spettri che volitate / Nel non sopito cèrebro e parlate”; „Bereit, zu Zeichen euch zu bannen, Geister, die ihr schwebend / Das ruhelose Hirn durchschweift mit euren Reden“ [...]. Der Alexandriner verwandelt sich hier in einen Elfsilbler und ein für alle Mal wird die – auch literarische – Identität der „Zeichen“ und der „Geister“ abgesegnet, die nunmehr lediglich durch eine hypothetische Zäsur getrennt sind und von jener „Euch“-Anrede zusammengehalten werden, die die Gespenster des Denkens, ein sehr leopardianisches „ruheloses Hirn“, mit der Minne verbindet. (In: Una distratta venerazione. La poesia metrica di Giudici, 2001, Übersetzung T. P.)
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