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1. Juni 2008






italo.log
Die wöchentliche
Gedichtanthologie
aus Italien.

Herausgegeben
von Roberto Galaverni
und Theresia Prammer.
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109: Andrea Temporelli
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102: Eugenio Montale (4)
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15:
Andrea Zanzotto


Andrea Zanzotto: Microfilm

(Aus: Pasque, 1973)


Andrea Zanzotto
© Giovanni Giovannetti/effigie

Andrea Zanzotto (vgl. italo.log 30) wurde am 10.10.1921 in Pieve di Soligo (Provinz Treviso) geboren, wo er auch lebt. 1938 nahm er ein Literaturstudium an der Universität Padua auf. Über Diego Valeri wurde er vertraut mit den Werken Baudelaires und Rimbauds. Begeistert von Hölderlins Poesie bemühte er sich, neben dem Französischen, um das Erlernen der deutschen und englischen Sprache. Pendelnd zwischen Padua und Pieve di Soligo, begann Zanzotto 1940 zunächst in Valdobbiadene, später in Treviso an der Mittelschule zu unterrichten. 1942 schloss er sein Literaturstudium mit einer Arbeit über Grazia Deledda ab, 1943 wurde er einberufen, wegen seines akuten Asthmas jedoch bald entlassen. Während der Besetzung Pieve di Soligos durch deutsche Truppen leistete er als antifaschistischer Kämpfer auf Seiten der Partisanen freiwilligen Widerstand. Die Szenen der Brandschatzung und Verwüstung seines Heimatdorfes, denen er in den Folgemonaten beiwohnte, sowie die Ermordung einiger seiner besten Freunde prägten sein Leben und Werk nachhaltig. Langjährige Beschäftigung mit der psychoanalytischen Lehre sowie eigene Analyseerfahrungen. 1946 emigrierte Zanzotto für die Dauer eines Schuljahres in die Schweiz. Zurück in Italien, richtete er sich zunächst in Mailand ein, wo er mit Eugenio Montale, Salvatore Quasimodo und Claudio Sereni freundschaftliche Beziehungen unterhielt. Wechselnde Anstellungen in verschiedenen Gymnasien der Region Veneto bis zu seiner Pensionierung 1975. 1979 erhielt er den „Premio Viareggio“. Zanzotto war freier Mitarbeiter u.a. der Zeitschriften «Comunità», des sozialistischen Organs «Avanti!», sowie, analog zu Montale, des «Corriere della Sera». Zusammenarbeit mit Federico Fellini, Tätigkeit als Übersetzer vor allem aus dem Französischen (Lacan, Bataille, Leiris, Balzac). Wichtigste Werke: Dietro il paesaggio (Mailand, 1951), Vocativo (Milano, 1957), IX Ecloghe (Mailand, 1962), Sull’Altopiano e prose varie (Prosaerzählungen, Vincenza, 1964), La Beltà (Mailand, 1968), Gli Sguardi i Fatti e Senhal (Pieve di Soligo, 1969), Pasque (Mailand, 1973), Filò. Per il Casanova di Fellini (Venedig, 1976), Il Galateo in bosco (Mailand, 1978), Fosfeni (Mailand, 1983), Idioma (Milano, 1986), Meteo (Rom, 1996). 1999 erscheint der Sammelband Le poesie e prose scelte (Mailand, 1999, in der Reihe „I Meridiani”) und 2001 der bislang letzte Band Sovrimpressioni (Mailand, 2001). Zahlreiche Essays und kritische Texte, später eingegangen in die Bände Fantasie di avvicinamento (Mailand, 1991) und Aure e disinuanti nel Novecento letterario (Mailand, 1994). Lebendige Rezeption im deutschen Sprachraum, z.B. die monographische Studie Zanzottos Triptychon (Tübingen, 1989) von Maike Albath(-Folchetti), der Band Lesarten der Sprache. Andrea Zanzotto in deutschen Übersetzungen (Theresia Prammer, Würzburg, 2005, Nachwort von Peter Waterhouse); mehrere Übersetzungen ins Deutsche: Lorna, Kleinod der Hügel/Lorna, gemma delle colline (Tübingen, 1990; Übersetzung: Helga Böhmer, Gio Batta Bucciol), Lichtbrechung (Wien/Graz, 1987; Übersetzung: Donatella Capaldi, Ludwig Paulmichl, Peter Waterhouse), Pracht (Basel/Bozen/Weil am Rhein, 2001; Übersetzung: Donatella Capaldi, Maria Fehringer, Ludwig Paulmichl, Peter Waterhouse), Gli sguardi i Fatti e Senhal/Signale Senhal (ebd. Übersetzung: Donatella Capaldi, Maria Fehringer, Ludwig Paulmichl, Peter Waterhouse), u.a.



Andrea Zanzotto über „Microfilm“:

In vielen bereits existierenden Aufsätzen, die sich zur Gänze dem Nachdenken über den Onirismus, seine Verbindung zur Kunst, seinen Stellenwert in der globalen Wirklichkeit, der heutigen im besonderen verschrieben haben, sind die Themen, bei denen auch ich mich, als notwendige Einführung in die zu nun schildernde Erfahrung, ein wenig aufhalten werde, mit Sicherheit schon angesprochen worden. Ich werde dann zu Mutmaßungen über eine Art Gekritzel übergehen, das mir im Traum erschienen ist und das ich unmittelbarauf das Papier projizieren mußte, mit einem ausfransenden Kranz von Anmerkungen. Ich sage Gekritzel, da ich ganz und gar nicht weiß, ob es sich wirklich um ein „visuelles Etwas“ handelt, sodaß es irgendwie in die Kunst hineinfallen könnte.

Mit Sicherheit gehört es dem Bereich der Traumvorstellung an, ist es doch wie ein zwiespältiges Blitzlicht vor mir aufgetaucht, seltsam, zwischen Alptraum und Überschwang, in der Fülle, in der Dichte des Traums. Doch wenn ich es dem Papier anvertraut und in einen Gedichtband eingegliedert habe, so wohl weil es ein Gewirr von Spuren „starker“ Wirklichkeiten in sich trug, das umso dringlicher war, je mehr es in einem ziemlich ärmlichen visuellen Etwas begraben lag:eine Dürftigkeit, eine Wenigkeit. Und diese Spuren bewahren, zumindest für mich, den Impuls neuerlich hinterfragt zu werden, weiterzugären, beinahe bedrohlich zu werden, und daher rührt auch mein Eindruck, daß sie sehr wohl in einem Versbuch Platz haben konnten, also zusammenhängen könnten mit dem vielschichtigen und sehr widersprüchlichen Umfeld des poetischen Akts, der schon an und für sich auf natürliche Weise zwischen Traum- und Wachzustand zu changieren scheint.

Manche Probleme, oder besser widerstreitende Ängste allgemeinen Charakters, werden in erster Linie dann virulent, wenn es um etwas geht, das mit der Traumwelt in Verbindung steht. So kompliziert der Mechanismus des Gehirns auch sein mag, er vermittelt einem doch, je mehr man ihn aus der Nähe besieht, das Gefühl, Produkt einer immensen Anstrengung zu sein, um etwas zu erhaschen, was alles in allem wenig mit dem Gehirn selbst, also dem „Geist“ zu tun hat. Dieser scheint in der Tat durch eine radikale, „naturgegebene“ Verschiedenheit von seinem physisch-biologischen Träger getrennt. Auch heute sprechen viele, und ich glaube zurecht, nicht vom Fühlen und Denken als von „Effekten“ der Gehirnaktivität, sondern von Phänomenen, die in der Gehirnaktivität die Bedingung, nicht die Ursache ihres Entstehens finden. Freilich ist es, unglücklicherweise, außerhalb des Gehirn-Körpers nicht gegeben, Gedanken, Sinne auszumachen. Mag sein, daß sie existieren. Wir haben dafür keinerlei Beweise. Und all das führt zu einem Gefühl des Bruchs, der Ohnmacht, des Entsetzens.

Ich möchte in dieser Hinsicht an die außerordentlich kostbare und geschätzte Präsenz Eugenio Montales erinnern, der in den letzten Jahren seines Lebens und seines poetischen Schaffens,  in der sowohl logischen als auch phantastisch-onirischen Präzision einiger seiner späteren Verse, nichts anderes getan hat, als über genau dieses Thema wieder und wieder nachzugrübeln. Unter anderem sagt er: der Mensch hat das Leben erfunden, er könnte es also auch zerstören. Warum hat er es „erfunden“? Er ist das einzige Geschöpf, das sich seiner selbst bewußt ist, das einzige Lebewesen, das in der Lage ist, über sich Zeugnis abzulegen, sich selbst (zumindest im Rahmen unserer Wissensmöglichkeiten und ohne lichte Momente in der Psyche der Tiere auszuschließen) als solches zu erkennen – und der das Leben also gefunden, „erfunden“ hat: ein extrem fragiles Leben, endogenen und exogenen Zerstörungskräften ausgesetzt. Montale tendierte fast dazu, sich auf die Linie der antiken Gnosis zu begeben, er bezog sich, und sei es auch nur metaphorisch, auf viele gnostische Mythen, denen zufolge unsere Welt wie das Abfallprodukt von Äonenschlachten anmutet, mysteriösen Katastrophen, die zu einer „verkehrten Wirklichkeit“ Anlaß gaben, in der die höheren Mächte wie gedrosselt und kaum „geduldet“ schienen. Und just der „Teil“ des Menschen, der mit Bewußtsein und mit „Licht“ begabt war und der, indem er von diesem Licht Gebrauch machte, die Realität nicht nur erkunden, sondern auch modifizieren und bereichern konnte dank technisch-wissenschaftlicher Eingriffe, war gefangen, gedemütigt, jeder Unbeständigkeit, ja sogar dem Sterben ausgeliefert. Das „innere“ Licht des Menschen, in dem auch die ganze Klarheit des Kosmos sich erklärt, erschien als äußerste Labilität, gebunden an jenes extrem unbeständige und lichtumkränzte quid, welches das Ich-Psyche ist (und man denke an jenen Überlieferungsstrang, der es schon seit der Antike als animula verstand, beginnend bei Kaiser Hadrian und noch vor ihm, bis zu dem berühmten Gedicht von Eliot, das Montale übersetzt hat, haben sich sehr viele Autoren des Themas angenommen). Das Ego-Psyche-Selbstbewußtsein, Feld des logos und des pati, ist unstet wie ein Irrwisch, der leiseste widrige Lufthauch (geschweige denn Windstoß), der die Physis, die Materialität des Gehirns beschädigt, kann es auslöschen.

Auf diesem „Feld“, das von sich aus so schwach ist, hält die wahrhaft mysteriöse Präsenz des Traums, der Traumaktivität Einzug: über deren Bedeutung die hitzigsten Kontroversen bestehen. In dieser Hinsicht wäre eine effektive Zusammenarbeit zwischen jenen, die den Traum unter psychoanalytischen Vorzeichen erforschen und den Neurobiologen von großem Wert. Man denke zum Beispiel an das, was aus einer – sehr plausiblen – Konvergenz zwischen dem, was z. B. ein Resnik in seinen so originellen und erhellenden Arbeiten über den Traum sagt und den Hypothesen, die auf der neurobiologischen Seite die innovative Erfahrung eines Jouvet ausmachen, hervorgehen könnte. Und ich nenne diese beiden Namen, weil beide Forscher in Lyon tätig sind. In der Diskontinuität zwischen den beiden Forschungsansätzen gibt es zudem einen Punkt, in dem, ausgehend von der Beobachtung der zerebralen Aktivität, die Ansichten über den Traum und das psychische Leben mit jenen der Psychoanalyse und analoger Untersuchungen übereinstimmen: Es ist, scheint es, die Bewertung der Traumarbeit als philogenetische Nachbearbeitung, sprich als Nachbearbeitung und Reaktivierung der tiefsten „Warums“, die die Erlebnisse und Verhaltensweisen eines Individuums determiniert haben, im Rahmen jener einer ganzen Spezies.

Jedenfalls neigen wir dazu, den Traum als einen Blick auf ein Anderswo zu denken, das doch ein Inneres ist, wir haben in ihm das Gefühl, wir selbst zu sein, doch wie auf einem Seil gehend; und wenn wir einerseits die Welt des Wachens und des logos vor uns sehen, so gleiten wir andererseits auf eine Realität zu, in welcher der logos, auch wenn er sich aufzulösen scheint, sich neu herausbildet, indem er auf andere Arten, andere Dimensionen des logos trifft, die im Unbewußten abgelagert sind. Aber die Welt der inneren Halluzination, wo ist sie eigentlich? Und wem gehört sie? Ist das Traum-Ich dasselbe wie das Ich im Wachzustand? Und an welchem Punkt schließen sie aneinander an?

Allein die Tatsache, daß man „ich“ sagt zum Beispiel, konditioniert bereits auf besondere Weise. Wer ist der wahre Darsteller des Traums? Wer spricht darin oder spricht nicht, wer sieht oder sieht nicht? Und wer ist zugleich im Sehen und Subjekt des Sehens selbst? An welchem Ort (sofern dieser AusdruckSinn macht) ereignet sich der Traum? Da wo, kaum fehlt es ein bißchen an Sauerstoff, kaum verändert sich irgendein biochemischer Zustand, an die Stelle des Traums bald das Koma oder jenes „Nichts“ tritt, das schließlich dazu berechtigt (kaum hat das EEG das Ende der Gehirnaktivität festgestellt) ein körperliches Wesen, das ansonsten funktioniert, einen Kadaver zu nennen? Das Traurigste ist jedenfalls, daß die „Person“, ganz gleich ob im Schlaf oder Wachzustand, doch stets bedroht ist vom Abdriften in die Ambivalenz, in das Flüchtige, das Unwahrscheinliche, das Nichts, so sehr, daß sie selbst von manchen als Sog des Nichts, als leerer Strudel angesehen wird.

Was nun die Beziehung zwischen Poesie (Kunst) und Traum angeht, so ist die Zusammenführung von einer solchen Banalität, daß man darüber kein Wort verlieren müßte. Doch darf nicht vergessen werden, daß die Welt der wachsamen und produktivistischen Anmaßung dazu neigt, den Künstler im allgemeinen als Freund müßiger Nacht-Gespinste, wie ein Hektoplasma zu verwerfen und an den Rand zu drängen; insbesondere den, der mit Sprache arbeitet, denn bei ihm kommt erschwerend hinzu, daß er einen gleichsam „leeren“ Gebrauch macht von den Wörtern, die im Wachzustand gelten und im Alltag, in der Praxis von Nutzen sind. Auch in diesen Jahrzehnten ist viel von der Schande der Dichtung die Rede gewesen (doch nicht von der Schande der Musik oder der Malerei). Oft sind diese schweren Anklagen von Personen, vor allem Philosophen und Ideologen gekommen, die sich selbst für absolut wach halten, doch die in Wahrheit aufgrund dieser paranoiden Super-Wachheit in Bezug auf ihr eigenes Unbewußtes im tiefsten Dunkel stecken – und das macht sie gefährlich. Auf jeden Fall möchte ich für die Poesie behaupten, daß sie gestärkt ist durch eine kontinuierliche Erfahrungstradition auf jenem Terrain, in dem Traum und Wachen zusammen auftreten, ohne einander wechselseitig auszulöschen. Und diese Tatsache hat sich vor allem in unserem Jahrhundert auf spektakuläre Weise gezeigt, einem Jahrhundert, das auch das maßlose Florieren von „Traumtagebüchern“ miterlebt hat, sei es als literarisches Moment, sei es als Moment der Analyse.

Aber in Wirklichkeit ist der kreative poetische Akt aufgrund der Vielfalt und der Ausdehnung der Sprachfunktionen im Sozialen genau das, was dazu verpflichtet, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt radikal mit dem Wachsein zu messen. Im Gedicht hat man es immer auch mit einer Wirklichkeit zu tun, die offen mit dem wachenden Subjekt verbunden ist, das etwas Pädagogisierendes, Theoretisierendes, auf seine Weise Aggredierendes entworfen hat, und zugleich kommt (wenn es auch rätselhaft bleibt) ein ganzes Gewebe aus Elementen zum Vorschein, die überfließen, die heraufdrängen aus dem Unbewußten und die, vor allem aufgrund ihrer „Sprache“, als regelrechte Traumgerinnsel bezeichnet werden müßten.

Was also ist passiert in dem Moment, in dem die „Produktion“ eines poetischen Textes sich vollzogen hat? Es hat sich so etwas wie ein diplopischer Wachtraumzustand verwirklicht, wodurch ein bestimmtes Subjekt auf der einen Seite einen Entwurf vorantrieb, und auf der anderen indes „wie im Traum“ erzeugend voranschritt, sich jenem halluzinatorischen „inneren Diktat“ überlassend, das den Dichtern schon immer ein Begriff war, das heißt diesem ganzen Brodeln unbewußter Gegebenheiten, die mehr oder weniger vage an die Oberfläche gespült werden durch Netzwerke von extremer Komplexität, und die sich mitunter in perfektem Gleichgewicht mit den „Wach“-Elementen kreuzen, im Rahmen eines Pulsierens, eines Rhythmus’, einer Pendelbewegung.

Nun scheint in der Poesie auch ein unbezwingbarer Wille zur Herrschaft narzißtischer Natur am Werk zu sein, der sich sowohl die Mittel des Traums als auch die Mittel des Wachseins zueigen machen will, um auf sein Gegenüber eine „totale Aggression“ auszuüben. Und doch ist sie auch Schenkung – im Namen eines Narzißmus, der lodernd aufbricht, indem er das Vorhandensein einer Lust am Anfang („piacere del principio“)bekräftigt, einer Lust, die dem Leben in seiner Selbst-Setzung inhärent, die diesseits des Lustprinzips („principio di piacere“) angesiedelt ist. Und an diesem Punkt wäre man versucht, sich auch die Beziehung zwischen dem (in der eigentlichen Hypnose) von außen auferlegten Traum, dem herkömmlichen Traum und den Hypnose-Verführungs-Versuchen der Poesie näher zu besehen. Es ginge dabei nicht nur um die Macht der phoné, um eine mögliche hypnotische Funktion der Sprache in einem Ausfransen an der Grenze zur konativen Sprachfunktion (Wiegenlieder und Sitzungen…). Es gibt eine Kraft in der Poesie, die in der Zusammenführung des Rätsels der Sprache als solche mit dem Rätsel des Traum-Unbewußten freiwird, eine Empathie, hervorgerufen durch einen Kurzschluß, der diese Mehrdimensionalität, die Parallelwelten des Traums in sich umsetzt und in den Wachzustand oder einen – diesmal authentischen – Überwachzustand verlegt.

Hier hätte auch das Problem des Onirismus in der Poesie (oder Kunst) im Bereich der Drogen seinen Platz, seine mise-en-abîme in der Droge. Es ist dies ein verlockendes, doch auch äußerst verstörendes Thema, vor allem, wenn man bedenkt, daß dieser Geist, so konditioniert von der Biochemie, dennoch stark genug ist, unzählige chemische Produkte herzustellen, die den Geist selbst sowohl zerstören als auch heilen können, und vielleicht auch ihn retten und über sich hinauswachsen lassen jenseits des heute Denkbaren. Und in Bezug auf Fragen, die den onirisch-poetischen Raum „unter Drogen“ aus aktueller Sicht betreffen, genügt es, sich die Erfahrungen Michaux’ ins Gedächtnis zu rufen. Während die Drogenträume in anderen Zeiten als Zugpferd eines gewissen „Mauditismus“ fungiert hatten, der sich allemal als elitär verstand, steht man heute vor den Verhängnissen, die die Ausläufer dieses nicht mehr elitären Mythos in der ganzen Gesellschaft angerichtet haben. Doch jenseits derartiger Niedrigkeiten und Auswüchse können in einer Erfahrung wie jener von Michaux erste Anzeichen eines „Willens des logos“ sichtbar werden, die Abgründe der körperlichen Konditionierungen (auch unter Einbezug des Unbewußten in diesen Prozeß) zu bereisen, sich selbst zu beherrschen und zu kontrollieren, sozusagen auch mittels der Abgründe der res extensa. Und das dank der Formeln der Chemie, einer Chemie, die vielleicht noch zu erfinden ist – Formeln, vor denen man versucht wäre auszurufen „adoro te devote / latens deitas / quae sub his figuris / vere latitas“. Diese Strophe müßte übrigens zuerst vor der Reihe von Aminosäuren ausgesprochen werden, die der Ursprung des Lebens „passieren“ muss …

Eine andere, oft arglistige Gottheit, die nunmehr die Aktivität des Unbewußten konditioniert und solcherart in heimtückischen Formen unsere Traumproduktion ordnet, ist das Kino (und mehr noch das Fernsehen). Doch führt man sich die Realitätseffekte des Kinos vor Augen – wie sie nach dem Traum modelliert sind und den Traum modellieren und sich als kollektiver Wachtraum darstellen – so ließe sich darin vielleicht ein Anstoß finden, um die ganze Vorstellung der Realität anhand der Vorstellung des Kinos (und umgekehrt) neu zu denken, so wie es „vielleicht“ Pasolini in einigen seiner theoretischen Ansätze vorgeschlagen hat.

Und nun komme ich zum Schluß, sprich zu meinem Gedicht (?), im Traum erschienen, wie so viele andere auch, die um so vieles reicher, manchmal großartig waren, in unserem Jahrhundert, in jedem Jahrhundert. Das Gedicht ist genau dem Titel „Microfilm“ zugefallen. Und das ist auch der Name einer Rubrik der Zeitschrift „Strumenti Critici“, in die mein visuell-poetisches Stück aufgenommen wurde: wirklich kein Titel schien mir treffender als dieser für etwas, das, als Mikrofilm oder Metafilm im Traum vor mir erschienen, in meiner Version bestimmt zum „Mikrofilm“ verarmt, zusammengeschrumpft ist.

Es war viel von visueller Dichtung die Rede in den letzten Jahren, warum auch nicht? Alles ist machbar. Doch sehr oft hat diese „visuelle Poesie“, ganz kalkuliert in einem unterkühlten Wachzustand, mit einer tiefschürfenden Aufarbeitung, wie sie nur in der Welt des Unterirdischen und „Nächtlichen“ vollzogen werden kann, gar nichts zu tun. Oft reduziert sie sich auf einen sehr dünnen Oberflächenfilm, auf ein banales und überraschungsloses Spiel. Ich habe der Saloppheit gegenüber, mit der, im Vergleich etwa zum Klang, dem logos etc., dem Problem des Visuellen in der Poesie begegnet wurde, immer ein tiefes Mißtrauen gehegt. Es ernsthaft in Angriff zu nehmen, bringt ein wirkliches „existentielles Risiko“ mit sich, wirft sowohl die Probleme der bildenden Kunst auf als auch jene der Poesie. So fand ich Gefallen daran, genau in der Mitte meines Buches Pasque meine viel früher entstandene graphische Skizze einzufügen, konnte sie sich doch wirklich als „begründete“ visuelle Poesie ausweisen. In Pasque steht die Hingabe an den Traum, ja fast an das Sehertum (Träumen mit offenen sowie mit geschlossenen Augen, im vollen Schauder der REM-Phase) sehr oft in Zusammenhang mit dem plötzlichen Abstieg in Referentialität, Alltag und Gemeinschaft im unmittelbareren Sinn. Und dieses sonderbare Dreieck, ausgefüllt mit großspurigen Zeichen, kam mir vor wie eine Brücke zwischen traum-analogischen Geheimnissen und geradezu brutaler Wucht des historischen Bezugspunkts, des Unglücks von Vajont. Noch heute fühle ich den Impuls zu weiteren Glossen oder Ergänzungen.

Ich habe bereits erwähnt, daß diese kleine Skizze etwas Dürftiges, Kümmerliches hat. Bedenkt man zum Beispiel, daß sowohl Lacan als auch Matte Blanco sich in Bezug auf die Darstellung der psychischen Welten bereits in der Topologie bewegen, ist das Auftauchen von elementar geometrischen Strukturierungen wie bei dieser Zeichnung schon ein einschränkendes Faktum. Und doch schließen sie an etwas an, was in gewisser Hinsicht unvermeidlich ist, als Projektion eines Anfangs, eines Ursprungs. Wenn man zum ersten Mal den Mund aufmacht, stößt man einen Schrei aus, und man bewegt ihn, i oder o auszusprechen, als Punkte größter vokalischer Spannbreite in beiden Richtungen. Und die Figur des Is oder Os, Linie oder Kreis, bildet in ungefähr auch das Aussehen der Lippen beim Aussprechen dieser Vokale ab. Solchen Figuren, übrigens in Wirklichkeit weitaus komplizierter als sie scheinen, hat man auch einen topologischen Status zugewiesen. Je elementarer das Zeichen war, desto gewaltsam ursprünglicher konnte somit seine Rechtfertigung oder Motivation sein, und also auch seine Empathie. Diese Grapheme habe ich „rituell“ in einem Traum gegen Morgen erlebt. Ich habe gesehen, wie sie sich formten und habe sie mit einem Entsetzen und einem Entzücken ohnegleichen verfolgt. Er war, mein Traum, vollgepumpt mit Psychopharmaka und zum Teil auch von ihnen induziert. Auch darum habe ich zuvor auf die Droge angespielt, und vielleicht hat die Faszination für die Formeln der organischen Chemie, womöglich auf den Beipackzetteln zur Anwendung von Medikamenten aufgelesen, eine Rolle beim Entstehen der Vision gespielt.

Es kam dazu circa fünfzehn Tage nach dem schrecklichen Desaster, das mich erschüttert hatte, da es mich – abgesehen von den eventuellen menschlichen Verantwortlichkeiten – vor allem mit dem Brennen des Nonsens konfrontierte, sei es gegen den Menschen gerichtet, sei es gegen die Beständigkeit, die „Ewigkeit“ der Landschaft. Es war das Hereinbrechen von etwas, das sich (wollen wir das Wort „unheimlich“ im freud’schen Sinn gebrauchen) beinahe als das „absolut Unheimliche“ darstellte. Etliche Tage nach der Katastrophe kam es zum Herausbrechen dieser Elaborate, vielleicht sogar Haß (odio) auf Gott (dio) (mondo - Welt), Fluch und Auflehnung gegen diesen Frevel – doch zugleich überkam mich paradoxerweise mit dem Entstehen der Vision ein Gefühl von obskurer Euphorie, und also von renitentem Hochmut, als hätte ich das Warum von alledem erahnt, von dieser Katastrophe und von allem Bösen, als hätte ich die Auflösung des metaphysischen Krimis vor mir, in den wir als Opfer eingehen, immer. Es war also eine von den tiefsten Schichten meines Seins und vielleicht auch eines „kollektiven Aufbegehrens“ vollzogene Anstrengung, um zur Dokumentation der Wunde und des Absurden auch die ersten Ansätze zu ihrer Vernarbung mitzuliefern: verstanden als Wiederherstellung eines Bilds von Bedeutung und Sinn.

All das rührte von einem Abdriften des Signifikanten her. Solchermaßen: Va-io-nt. In diesem Wort selbst war ein Ich (io) gefangen, ein Ich-Mensch-Welt, von etwas „erdrückt“. Weiters hatte ich von der Tragödie am Morgen des 10. Oktober 1963 erfahren, meinem Geburtstag (der so von der Feier in Trauer umschlug), als uns Unwissende die Nachricht erreichte. Grauenvoll, wuchs doch von Stunde zu Stunde ihre Bösartigkeit, wurde immer „fataler“ in ihrer stündlichen Bekräftigung – nachdem man gegen Morgen Kadaver und Trümmer aller Art ankommen sah, die mit der Strömung des Piave in unsere Vorgebirgsdörfer geschwemmt wurden. Zehnter Oktober, zehn zehn, 10-10. Die Anteilnahme meines Unbewußten wurde, im Gleiten dieser Zeichen, auf eine wahnwitzige Weise privat. Haß „odio“: was seinerseits auch „Oh Gott“ („O Dio“) sein konnte, also ein Ausruf, als Hilfeschrei oder aus Bestürzung, Ohnmachtsgefühl, vermischt mit dem Verwerfen der Gott-Realität aufgrund der Unerträglichkeit des Geschehenen. Dann erschienen zwei Elemente noch einmal für sich, Gott (Dio) und Ich (Io): Gott als Hypostase des Makrokosmos und das Ich des Mikrokosmos, die sich auf die letzte Stufe, das O, reduzierten, welches ebenso auf die Null wie auf den totalen Kreis der Realität bezogen werden konnte.

Um diese zugleich strahlende und schwarze Vision herum, in einem wahren „Tosen“ von vernichtender, doch auch extrem verdichteter Kraft, übervoll mit Implikationen von Revanche, Wiederaufbau, Aufbegehren (ich muß es wiederholen), begannen sofort auch Kommentare sich zu formen, die auf Französisch hervorschossen, angereichert mit Vokabeln in anderen Sprachen, immer noch im Traum. Eine ganze Wolke von Kommentaren, von Glossen schien aufblühen zu wollen.

Ich könnte noch mehr erzählen, doch es mag genügen, einen Umstand hervorzuheben: sicher haben sich mir hier Elemente aufgedrängt, die, über das kollektive Unbewußte hinaus, mit einer Wertigkeit der Sprache zu tun haben, welche, indem sie sich ausdrückte, darauf gerichtet war, die Barriere der Sprache zu überwinden, sei es auf Seiten eines „Zuvor“, sei es auf Seiten eines „Danach“. Auf jeden Fall wurde ein gewisser Drang offenbar, „über das Italienische hinauszugehen“, so sehr ich einer „Essenz des Italienischen“ verhaftet blieb. In unserer Literatur gibt es viele Gedichte, in denen sowohl „io“ als auch „Dio“ etc. vorkommen, sogar in unmittelbarer Nähe, als Reim (ein Gedicht von Risi, mir übrigens damals nicht bekannt, weist eine ganz eigentümliche Affinität zu meinem Stück auf). Doch hier hat sich wohl wirklich irgendein Hyper-Anspruch des inneren Acheronten, irgendeine verrückte und „idiotische“ Form der Anmaßung der Sprache durchgesetzt, die (uns) als Unbewußtes, die (mich) als Unbewußtes konstituiert. „Ich“ „wollte“ „etwas“ „übersetzen“, das über den Laut und das Zeichen selbst hinausging, das somit chiffrierter logos wäre, hiero/glyphisch im Sinne der notwendigen und unmittelbaren Transkription eines Wirrwarrs von Ideen (?), doch alles das anhand von Elementen einer Kindlichkeit im „engen“ und fast schon lächerlichen Sinn, wie bereits angedeutet: Querstriche, Längsstriche und kleine Kreise, das I und das O als winziges Segment einer Geraden (eben die Längsstriche der Schulkinder), der kleine Kreis, den jedes Kind zeichnen kann und das D, eine Kombination oder Intersektion von beiden, die besonders signifikant ist. Nun, warum fühlte ich mich zu dieser Ideographie getrieben? Offensichtlich kam da auch die Arglist der Sprache zum Ausbruch, die tief unten am Schwelen ist, vor allem wo Verse geschrieben werden: keine Sprache, oder nur eine universal-paradiesische Sprache könnte den Ansprüchen des poetischen Ausdrucks genügen, doch in der Tat ist, wer schreibt, in keinem anderen Augenblick so „erschaffen“ von der eigenen historischen Sprache, so versunken in ihren besonderen Code. Und dieser Kommentar auf Französisch, ein Französisch wer weiß wie grossus, gespickt mit Worten in weiteren Sprachen, wie der hegelianischen Unruhe, hatte vor allem die Funktion, darauf hinzuweisen, daß „jenes“ nicht Italienisch sein sollte, sondern mehr-als-Italienisch, etwas, das also darauf gerichtet war, in eine Ordnung unmittelbarer, pfingstlicher Zeichen einzutreten, universell lesbar vi propria. Doch diese, effektiv durch mein „Italiener-Sein“ vermittelt, erschienen aufgeladen wie noch nie mit italienischen Semantikwerten (durch den impliziten lautlichen Faktor). Und doch war dieses Italienisch in gewisser Weise angereichert mit einem „paradiesischen Vektor“, es war ein Italienisch auf der „Flucht“.

Man muß noch festhalten, daß ein solches Phänomen vielleicht durch die Tatsache ermöglicht worden ist, dass ich regelmäßig auch den Dialekt spreche. Für den Dialektsprecher ist das (psychische) Ich kein gewöhnliches Ich, denn unterhalb des nämlichen Pronomens, das es bezeichnet, verbirgt sich noch ein anderes, mi, die erste Person im venetischen Dialekt. Wer fortwährend mi sagt, wenn er sich auf sich selbst bezieht, der tritt, wenn er Ich sagt, in ein anderes und „höheres“ Niveau ein und, so meine ich, in eine andere personale Verkörperung.

In einer grausam realen Situation wie dieser, in einem kollektiven Katastrophengefühl, steht, wer mi sagt und Dialekt spricht, in perfekter Symbiose zum sozialen Corpus, von dem er auch gesprochen wird, ist geneigt, sich dem ungeheuren und formlosen Gemurmel von Beschwörungen, Kommentaren, Ausdrücken nicht wiedergutzumachender Trauer anzuschließen. Das Erscheinen des Ichs im Traum, in Verbindung mit der „hohen“ und in gewisser Hinsicht willensgesteuerten Ebene, ist also seinerseits ein Zeichen der Schadloshaltung desjenigen, was eine Perspektive und einen Abstand zurückerobern will, um ein Zusichkommen, ein Überwinden zu ermöglichen. In Zusammenhang mit diesem ICH, als Prinzip („principio“) und folglich als Wiederanfang, Neubeginn („riprincipio“), tauchte darüber hinaus eine dem Sagen innewohnende Kraft des Abdriftens auf, als Schadloshaltung an der Welt, der Wunsch nach einem Sagen, das an etwas jenseits der Sprache Liegendes rühren könnte, das real im Sinne von realitätsstiftend wäre, dabei aber sprachliche Gegebenheit bliebe. Ein Schatten jenes fiat, dem, der Religion nach, die Realität entsprang?  

Der ein oder andere mag anmerken: das sind ziemlich delirante Denkübungen, die du da anstellst in Bezug auf eine kleine Maschinerie, die alles in allem nicht wirklich interessant ist. Mag sein. So wie es mir eingefallen ist, so habe ich es an euch weitergegeben, und ihr laßt Nachsicht mit mir walten. („Una poesia, una visione onirica“, in: Prospezioni e consuntivi, 1999, Übersetzung: T. P.)